Ich habe immer gedacht, so weit kommt es bei mir nicht. Ich bin psychisch stabil und gestärkt genug, dass ich niemals in solch ein tiefes Loch fallen werde.
Von wegen.
Letztes Jahr um diese Zeit saß ich noch ganz tief unten und habe mich wieder heraus gekämpft. Stück für Stück und Tag für Tag mein altes Leben wieder zurückerobert.
Aber jetzt mal ganz zu Beginn meiner Geschichte. Zum Beginn meines persönlichen Traumas.
Heute traue ich mich darüber zu schreiben und euch zu erzählen, wie es mir ergangen ist und was es mit mir gemacht hat zu erkranken und außer Gefecht gesetzt zu werden.
Mein traumatisierendes Erlebnis hatte ich im November 2017.
Ich kann sogar den kompletten Tagesablauf noch rekonstruieren, so sehr hat sich dieser Tag bei mir eingebrannt.
Aber wie ich rückblickend feststellen konnte, hat sich mein Körper viel früher schon gemeldet und erste Signale gesendet. Diese konnte ich nicht ernst nehmen oder habe sie überspielt und nicht genug in mich hineingehorcht.
Mich hatten ein paar heftige Magen- Darm Infekte erwischt, von denen ich mich noch nicht erholt hatte. Ein emotionales und stressiges Jahr lag hinter mir, in Bezug auf den Umzug ins neue Haus, dann noch einige private hoch emotionale Themen, die mir persönlich sehr ans Herz gegangen sind. Im Zuge dessen habe ich meine Hochsensibilität besser kennen gelernt. Aber da war es schon zu spät und ich war schon mitten drin im Gefühlschaos.
Der Sommer 2017 war voller Höhen und Tiefen und meine Gefühle sind Achterbahn gefahren. Ebenso meine Hormone. Sowas hab ich wahrhaftig noch nie erlebt. Herzflattern, in Frage stellen meines jetztigen Lebens und diese schrecklichen WAS – WÄRE – WENN – FRAGEN die mich irre gemacht haben. Ich hatte so eine kritische Auseinandersetzung mit mir selbst.
Bin ich glücklich?
Habe ich mich für den richtigen Weg entschieden?
Wollte ich das?
Was kommt noch auf mich zu?
Wo stehe ich beruflich?
Ich stand inmitten so vieler Fragen.
Bin ich glücklich in meiner Rolle als Mutter?
An der Seite meines Mannes?
Habe ich mich richtig entschieden?
Plötzlich habe ich eine richtige Findungskrise gehabt.
Und dazu dieses ständige Auf und Ab der Gefühle und der Stress, den es in meinem Körper ausgelöst hat. Viel zu spät schlafen zu gehen und zu viele Gedanken mit ins Bett nehmen. Das schlaucht so sehr!!!
Na ja soviel zur Vorgeschichte. Da hätte ich sicher schon auf mich hören müssen und die Reißleine ziehen können. Aber wie?
Hätte Hätte Fahrradkette…
Einfach kürzer treten, Entspannen und runterfahren. Das sagt sich immer so leicht. Aber das habe ich damals nicht hinbekommen.
Ich hatte so gut wie keine Auszeiten oder Ruhephasen, in denen ich mal Kraft tanken konnte. Ständig in der Verantwortung für zwei kleine Kinder und den Haushalt und irgendwelche anderen Sachen. Ich habe versucht alle Rollen zu erfüllen, weil ich halt dachte das muss ich. Das wird so von mir verlangt. Irgendwie habe ich nur noch funktioniert. Ich weiß auch, dass ich öfters um Hilfe gebeten habe. Leider wurde ich nicht richtig gehört oder die Leute wussten gar nicht wie sie helfen sollen. Wenn ich sagte: „Ich kann nicht mehr“ – und wer gibt das gerne zu. Dann muss auch gleich ganz klar gesagt werden, was ich überhaupt als Hilfe erwarte. Ich wusste es einfach nicht. Irgendwann war nur klar, dass ich so nicht weiter machen kann.
Totale Überforderung.
Mit mir und meinem Leben. Eigentlich mit der ganzen Welt. Alle Emotionen bitte her zu mir!!
Ok wollt ihr meinen Traumata Tag nun auch nochmal mit erleben.
Der Tag an dem dann alles zusammen gebrochen ist?
Es war an einem Sonntag, als wir als Familie einen Ausflug nach Holland in die naheliegenden Maasduinen gemacht haben. Wir wollten dort für meinen gerade gestarteten Blog noch ein paar schöne Fotos machen.
Auf dem Weg dorthin fühlte ich mich schon unwohl. Irgendwie innerlich unruhig.
Habe ich erstmal so hingenommen und als nicht so schlimm eingestuft. Ich hab ja nichts. Als wir dann aber weiter gefahren sind überkam mich so eine Übelkeit und ein Panikgefühl, dass ich gerufen habe: „Michi bitte dreh um, ich muss nach Hause!“ Mir war so, als wenn ich kurz vor einem weiteren Magen- Darm stehe. Auf einmal ein Gefühl wie „Ich muss mich bestimmt übergeben, jetzt bloß nicht ohnmächtig werden.“ Einfach komisch. Ich habe mich dann allerdings doch überwunden und wir sind weiter nach Holland gefahren. Ich habe gedacht, das ist alles Einbildung.
Das macht gerade deine Psyche mit dir.
Habe mir eingeredet es wird gleich bestimmt weg sein, wenn wir einmal da sind und wenn ich mich bewegen kann.
Dem war nicht so.
Die Kinder haben sich total gerne bewegt und hatten Spaß, während ich auf dem Spielplatz auf und ab gegangen bin wie ein aufgezogenes Duracell Häschen und es mir von Minute zu Minute schlechter ging.
Ein ganz eigenartiges Stressgefühl hat sich da in mir breit gemacht und wollte nicht weg gehen.
Wir sind nach ca. 30 Minuten zur Enttäuschung der Kinder wieder heimgefahren. Der Heimweg war furchtbar, denn ich war wie gefangen im eigenen Körper. Mir war übel, ich hatte Angst ohnmächtig zu werden und mein Körper hat gebebt vor Stress.
So was habe ich noch nie vorher erlebt.
Ich bin zu Hause direkt ab auf die Toilette in der Hoffnung das es „nur“ ein Magen -Darm- Infekt ist, den ich bald wieder los bin. Habe mich dann auch prompt noch übergeben, während mein Sohn fasziniert daneben saß .
Oh man, aber das war mir in dem Moment echt egal. Im Nachhinein lache ich darüber, denn er hatte das noch nie gesehen. War für ihn wohl ein Highlight. Für mich allerdings zum Kotzen.
Entschuldigt bitte.
Weiter im Text.
Also der Magen- Darm- Virus war es dann doch nicht. Denn ich habe mich daraufhin ins Bett gelegt und versucht mich zu entspannen. Das war so schwer. Ich bin einfach nicht mehr heruntergekommen von diesem Trip. Ich hatte eine Panikattacke nach der nächsten.
So richtig mit Herzrasen, Schweißausbrüchen, Zittern und ständig dieses Kopfkino. Die wildesten Bilder flogen mir durch den Kopf.
Ich werde verrückt
Ich dreh durch
Holt mich hier raus
Ich bekomme einen Herzinfarkt
Das ist ein Alptraum
So fühlt sich das an wenn man stirbt, habe ich kurzweilig sogar auch gedacht.
Nach einigen Stunden muss ich wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Nur am nächsten Tag war ich alles andere als erholt und von da an ging es mit einen dumpfen Bauchgefühl und absoluter Erschöpfung in den Tag.
Ein Tag nach dem anderen bestand dieser Zustand. Total ausgebrannt. Als hätte einer mir den Stecker gezogen. Es durften einmal alle Gefühle und Emotionen abgespielt werden, die ich so kenne. Bis dann die Kraft endgültig weg ist. Danach war mein Akku leer.
Nennt es „Burnout“, „Nervenentzündung“ oder wie auch immer. Ich finde bis heute keinen Namen für diesen Zustand. Nur das ich noch nie vorher etwas in dieser Intensität erlebt habe.
Für mich als Gefühlsmenschen war das eine Zumutung. Meine größte Sorge war wirklich, dass es jetzt für immer so bleiben wird.
Ich bin unheilbar verrückt, deswegen werden mir die Kinder jetzt abgenommen und ich komme mit Sicherheit in die Klinik.
Das waren meine Bilder und Gedanken.
So ein Quatsch, denke ich jetzt. Aber ich habe mich meinem Leben und der ganzen Verantwortung nicht mehr gewachsen gefühlt. Total neben der Spur und nicht in der Lage eine einzige Entscheidung zu treffen.
Ihr fragt Euch sicher was mit meinen Kindern zu dem Zeitpunkt war.
Zum Glück war mein Mann da und hat sich gekümmert. Ich konnte mich tatsächlich aus dem Geschehen zurückziehen, um mich zu regenerieren.
Das war echt ne Herausforderung. Es dauert seine Zeit und kostet noch viel Kraft.
Mein Plan zurück in mein Leben sah so aus:
Arztbesuch
Ernährungsumstellung
Vitamine und Mineralien zum Ausgleich
Weniger Kaffee
Mehr Schlaf
Viel Ruhe und Zeit alleine
Ich habe Yoga für mich gefunden
Gespräche Gespräche Gespräche.
Dadurch das ich mein Herz auf der Zunge trage, habe ich mit ein paar Menschen darüber geredet, um zu verstehen wie es so weit kommen konnte und um zu begreifen, dass ich nicht vollkommen irre bin.
Ich kann repariert werden! Juhuuu!
Eine Herausforderung für mich waren Autofahrten. Ich hatte Angst vor der Angst. Das diese Panik wieder kommt, ich ohnmächtig werde und die Kinder in Gefahr bringen könnte.
Da waren plötzlich Ängste, die ich so nicht kannte. Aber ich hatte erlebt wie es ist und wollte da einfach nicht mehr hin. Ich wollte diesen Ausnahmezustand nicht nochmal erleben.
Was habe ich mich hilflos gefühlt. Und wenn ich vorher gesagt habe, ich kann mir kaum vorstellen das Depressionen oder Panikattacken so schlimm sind.
Sie sind schlimmer.
Wirklich. Und zwischenzeitlich habe ich an die Menschen gedacht, denen es so geht oder auch ging und konnte das so gut verstehen. Diese Hoffnungslosigkeit und traurigen Gefühle. Die Ängste und körperlichen Zustände.
Alle um dich herum leben und erwarten das auch gewissermaßen von dir. Aber du weißt plötzlich nicht mehr wie das geht. Wie lebt man unbeschwert?
Ich habe ständig geweint. Jedes traurige Lied hat mich berührt, mich erinnert oder mich irgendwie erwischt. Wir haben als Familie Paddington Bär geguckt und das war für mich der allertraurigste Film aller Zeiten.
Dieser Kinderfilm bekam den Oskar der Traurigkeit von mir.
Ich war emotional so geschwächt, dass mir ständig auch in der Öffentlichkeit zum Weinen zumute war.
Meine Kinder haben etwas in mir ausgelöst, wenn ich sie gesehen habe, hatte ich plötzlich Angst sie zu verlieren. Ich habe meinen Mann beim Klavierspiel zugehört und Rotz und Wasser geheult. Habe gedacht,…Oh mein Gott ich möchte ihn nicht verlieren. So wie Maggie im Sommer ihren geliebten Tim (Maggie ist eine großartige Mamabloggerin Mamamulle)
Da habe ich schon so mitgelitten. Ich konnte keine Grenzen mehr ziehen.
Jetzt würde ich sagen, klar für mich als HSP Wikipedia-Hochsensibilität ganz typisch. Und da hätte ich mich und meine Emotionen schützen müssen. Das habe ich allerdings nie gelernt. Ich war immer der Typ, der alle fremden Emotionen aufsaugt. Und das kostet so viel Energie.
Mein Gott war ich ein Gefühlsbündel.
Warum ich das alles schreibe und so private Informationen von mir preis gebe?
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der man über sowas sprechen kann OHNE Scham und Angst vor Stigmatisierung. Jeden kann eine Depression erwischen. Jeder kann psychische Tiefpunkte und Erkrankungen bekommen. Das ist keine Schande. Ein gebrochener Arm ist offensichtlich und heilt wieder. Psychische Erkrankungen hingegen sind gleich behaftet mit „verrückt“ „einen an der Klatsche“ und nicht heilbar.
Man gilt doch immer als der Psycho damit.
„Oooh haste schon gehört die hat psychische Probleme“. „Oh mein Gott!“ Und dann wenden sich die Meisten ab. Wurde einem ja auch so beigebracht, das man dann unheilbar krank ist und wohl besser auf Abstand geht. Ernst genommen werden die wenigsten Menschen in der Leistungsgesellschaft. Da geht es darum viel zu leisten und möglichst nicht als schwach zu gelten. Niemand würde das zugeben, denn häufig sind diese Erkrankungen oder Erschöpfungszustände mit Faul behaftet oder man stellt sich bloß an. Man sollte gefälligst erstmal richtig arbeiten gehen, bevor einem das überhaupt „Zusteht“ zu erkranken.
Und selbst ich in meiner Elternzeit, wo ich doch „NUR“ zu Hause war und noch nicht mal arbeiten gegangen bin habe mich so mies gefühlt. Aber es war einfach so. Ich konnte nichts dafür!!
Die Seele braucht Zeit und gute Pflege, um wieder geheilt zu werden .
Und Depressionen sind heilbar!!
Wenn man gemeinsam darüber spricht und sich offenbart, dann kann man soviel erreichen. Helfen und Heilen.
Wirklich, und ich schreibe das alles auch weil es ein Herzensthema ist.
Verlust und Trauer
Vor fast 4 Jahren an meinem 30. Geburtstag habe ich meine Freundin verloren. Das ist ganz furchtbar. Aber auch sie war krank. Schwer krank. Um einiges schlimmer noch, als ich es war. Sonst wäre sie nicht gegangen, das ist mir klar.
Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an sie denke. Dazu müsste ich einen ihr würdigen Bericht schreiben. Das kann ich hier nicht. Das würde ihr nicht gerecht werden und lässt sich nicht in ein paar Worten zusammenfassen, was da alles passiert ist.
Aber wisst ihr, wenn man offen damit umgeht und sich gegenseitig zuhört und die Psyche ernst nimmt, dann kann man es verhindern. Menschen die am Abgrund stehen dabei helfen einen Sinn zu finden. Dem Leben noch eine Chance geben!! Gerade hochsensible Menschen fühlen sich häufig überfordert mit dem Leben. Und dazu zählte auch meine Freundin. Heute würde ich alles geben, um sie noch einmal in den Arm schließen zu können und zu sagen das alles gut wird. Sagen das sie gebraucht und geliebt wird. Das kann man einem Menschen gar nicht oft genug sagen.
So hoffnungslos wie dir gerade deine Situation erscheint. Es gibt immer einen Weg!!! Bitte gib dich nicht auf!!!
Heute geht es mir wirklich gut. Ich bin über den Berg und arbeite nach wie vor an mir und meiner Persönlichkeit und daran wie ich mich noch besser schützen kann als HSP.
Hochsensibilität wird mich mein Leben weiter begleiten und ich habe mir jetzt professionelle Unterstützung gesucht und kann das jedem nur empfehlen.
Meine Themen werde ich gemeinsam mit meiner Therapeutin/ Therapeuten aufgreifen. Das ist für mich Selbstliebe.
In diesem Sinne
Ganz viel Liebe für Euch!!
Eure Anne
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[…] Ein Beitrag hat mich zu dem Thema sehr bewegt und diesen möchte ich euch nicht vorenthalten: Ein gebrochener Arm wäre offensichtlich… von Einfach Anne. […]